Retribution (Guy Magar, USA 1987)

Nach über 30 Berlinale-Filmen brauche ich ein wenig Erholung. Schon die ersten Minuten von „Retribution“ prügeln mir ins Gedächtnis zurück, warum Filme gucken eine so tolle Sache sein kann. Selbstbewusst, mit festem Griff, nimmt Magar den Zuschauer an die Hand und zerrt ihn in die Geschichte. Am Anfang steht der Selbstmordversuch von George (Dennis Lipscomb), eines erfolglosen, depressiven Künstlers. Doch er überlebt den Sprung aus dem 4. Stock, sieht sich danach aber von grauenhaften, morbiden Alpträumen geplagt. Nicht einmal seine Psychologin Jennifer (Leslie Wing) kann ihm helfen. Plötzlich wird L.A. von einer Mordserie erschüttert, deren Details George aus seinen Träumen kennt. Hat George etwas damit zu tun?

Der Film wirkt wie ein im Entstehen begriffenes Gemälde, dessen Formen nur undeutlich zu erkennen und dessen Umrisse mit bunten Farbklecksen gezeichnet sind, oder vielmehr vor den Augen des Zuschauers mit schnellen Strichen und Tupfern immer mehr Gestalt annehmen. So entsteht ein Bild, das unverkennbar ein Produkt der 1980er Jahre ist, und das mich anfangs stimmungsmäßig ein klein wenig an „Jakob’s Ladder“ mit einer Prise „Scanners“ erinnert, aber dennoch sehr eigenständig daher kommt. Guy Magar, ein Regisseur von dem ich vorher noch nichts gehört hatte, vielleicht weil er bis auf wenige Ausnahmen für’s Amerikanische TV gedreht hat, macht in diesem Film alles richtig. Die Story um einen dem Tode entronnenen Künstler, der zum Werkzeug einer fremden Macht wird, erfindet sicherlich den übernatürlichen Rache-Thriller nicht neu, gibt dem Zuschauer aber audio-visuell die volle Breitseite und lässt auch, was die Intensität der Mordszenen angeht, die meisten Genre-Vertreter hinter sich: Da schlitzt sich z.B. eine Frau selber den Bauch auf, ein Mann, trennt sich selbst mit einem Bunsenbrenner die Hand vom Arm und ein anderer wird in einen Schweinetorso gestopft und hinterher zersägt. Das ist alles ganz schön heftig. Auf der anderen Seite überrascht „Retribution“ mit viel Zärtlichkeit. Die Beziehung zwischen George und der Prostituierten Angle (Suzanne Snyder) ist wirklich rührend wie überhaupt die ganze Straßenstrich- und Kunst-Szene, in der sich der Protagonist bewegt, was „Retribution“ zusätzliche Charisma-Punkte gibt.

Warum der Film hierzulande zu unbekannt ist, verwundert mich. Ich kann nur vermuten, dass es an dem Fehlen eines charismatischen Bösewichts à la Freddy, Jason o.ä. liegt. Bei mir jedenfalls hat diese Mischung aus Gewalt und Gefühl, visuellem Ideenreichtum und fiebriger Achtziger-Neon-Optik und nach vorne erzählter Geschichte voll ins Schwarze getroffen. „Retribution“ (= dt. Vergeltung), dessen deutscher Titel „Die Rückkehr des Unbegreiflichen“ wie so oft keinerlei Beziehung zum Film aufweist, ist meine Horror-Neu-Entdeckung des Monats, ja, vielleicht des Jahres. Ich würde nicht einmal ausschließen, dass ich Magars Horror-Granate irgendwann zu meinen persönlichen Klassikern des Genres zählen werde.

 

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