Dass Familie nach Luther, Martin, die Quelle allen Segens und Unsegens sein soll, kann man, wie noch so einiges, gut in Kubilay Sarikayas und Sedat Kirtans, quer zu allen Stimmungen liegender, dramötischer Multikulti-Kraut-und-Rüben-Ghetto-Gangster-Glosse „Familiye“ beobachten. Familie ist hier Ursache und Lösung für allen Murks der Protagonisten. Und gleichzeitig ist sie auch wieder so ein bißchen egal, weil es ja auch noch um soviel anderes geht. Man kann den Film wohl überfrachtet finden, ich fand ihn aber ganz nett. Für Kino-Zeit etwas zum Film geschrieben.
Tag: Komödie
Tucker And Dale Vs Evil (Eli Craig, Kanada 2010)
Auf den ersten Blick sieht Craigs Debüt-Langfilm vielleicht aus, wie ein 08/15-Horrorfilmchen, bei dem es eine Gruppe von College-Kids bei einem Zelturlaub mit den Einheimischen zu tun bekommt. Doch schon der Titel deutet an, dass sich nicht alles ganz so zuträgt, wie der Genrekenner es erwartet: Tucker (Alan Tudyk) und Dale (Tyler Labine) sind nämlich in diesem Fall nicht die Bösen. Im Gegenteil! Bei den beiden Landeiern handelt es sich um grundsympathische Typen, die in den Wäldern einfach etwas an einer Hütte basteln und sich beim Fischen entspannen wollen. Ein Missverständnis führt dazu, dass die College-Kids Tuckers und Dales Rettungsversuch der hübschen Allison (Katrina Bowden) für eine Entführung halten – und fortan mit allen Mitteln versuchen, gegen die beiden Freunde vorzugehen.
Es gibt sie, die Horrorfilme, die einfach Spaß machen. Sam Raimis „Evil Dead“-Filme fallen mir da spontan ein; oder Peter Jacksons „Bad Taste“ und „Braindead“; oder der wunderbare „Return Of The Living Dead“; oder „Re-Animator“; oder oder. Und auch in jüngster Zeit gab es wohl immer mal wieder Versuche, die man dazu zählen könnte. Leider ist deren Anzahl, denen die Melange aus Gewalt und gute Laune gelingt, meiner Meinung – oder sagen wir lieber meinem Geschmack nach, nicht besonders groß. Auch „Tucker And Dale Vs Evil“ steht ja in dem Ruf, diesen Spagat zu schaffen, und beim ersten Sehen fand ich ihn auch ganz nett. In der Zweisichtung hat er mich allerdings freundlich gesagt weniger überzeugt.
Sicher, das Spiel mit den vertauschten Rollen, bei dem die Collegekids die Psychopathen und die Hinterwäldler die Sympathieträger sind, funktioniert an und für sich ganz gut und macht deutlich, wie vieles, das wir als filmische Wahrheiten unhinterfragt akzeptieren, eigentlich eine Frage der Perspektive ist. Das ist der zentrale Witz von „Tucker And Dale Vs Evil“ und ja, das ist schon irgendwie ganz ok gemacht und zumindest beim ersten Sehen fand ich es ja auch amüsant bis lustig. Wenn der Zuschauer das Prinzip allerdings einmal durchschaut hat (was ziemlich schnell der Fall ist), geht dem Film schnell die Puste aus.
Ich bin nach dem zweiten Sehen der Meinung, dass Craig zum einen zu früh klar macht, wohin der Hase läuft und sich zum anderen quasi schon zu Beginn des Films auf die witzige Seite seiner Horror-Komödie schlägt, sprich, die spannende geschweige denn gruselige dafür leider viel zu kurz kommt. Mir ist bewusst, dass dieses Urteil sehr subjektiv ist und natürlich immer davon abhängt, was man gerne sieht; ich kann mir vorstellen, dass viele den Film gerade für seinen Charme, seinen Witz wie seine sympathisches Protagonisten-Duo mögen. Mir hätte er vermutlich besser gefallen, wenn nicht alles so leicht zu durchschauen wäre, sondern wenn Craig vor allem etwas mehr Ernst bei seinen Figuren und dem Konflikt zwischen den beiden rivalisierenden Parteien an den Tag gelegt hätte. So ist mir das ganze zu sehr Nummernrevue ohne echtes Drama, ohne Fallhöhe.
„Tucker And Dale Vs Evil“ ist guter Stoff für das Fantasy Filmfest, wo jeder Fun-Splatter frenetisch bejubelt wird; oder vielleicht auch für den Fortgeschrittenen Anfänger in diesem Genre, der sich darüber freuen kann, dass er erkennt, was hier witzig sein soll. Aber es ist kein guter Film in dem Sinne, dass hier eine Geschichte dramaturgisch geschickt erzählt wird, dass es einen spannenden Konflikt oder interessante Figuren gibt, dass hier etwas entwickelt wird, dass mehr ist als die Summe seiner mehr oder weniger spaßigen Teile. Nein, „Tucker And Dale Vs Evil“ ist nicht mein Ding. Vielleicht liegt dieses etwas harsche, zweite Urteil aber auch nur daran, dass ich, was Humor in Filmen angeht, eh ein schwieriger Kandidat bin
Bild © Universum Film
Notizen #4
Seraphim Falls (David Von Ancken, USA 2006)
Von der Regel, dass ich neben „Once Upon A Time In The West“ und „The Quick And The Dead“ keine Western mag, gibt es eine weitere Ausnahme. Aufgrund einer Empfehlung von vertrauenswürdigen Tipp-Gebern auf Twitter habe ich mir „Seraphim Falls“ angesehen – und für gut befunden. Ein Mann (Liam Neeson) jagt darin einen anderen (Pierce Brosnan). Warum, erfährt man erst viel später. Aber eigentlich ist der Grund auch egal, Von Ancken scheint es hier in seinem Rache-Western eher ums Grundsätzliche zu gehen. Der Film beginnt sehr realistisch – man spürt die Kälte, fühlt sie durch Mark und Bein gehen; später kommt die Hitze, der Durst, die Erschöpfung… – driftet aber immer mehr ab und wird zur Parabel, die uns in eindrucksvollen Bildern deutlich macht, dass Rache… – Ach, ich will nicht zuviel verraten, schaut euch den Film selber an.
The Shiver of the Vampires (Jean Rollin, Frankreich 1971)
Isa und Antoine geraten auf ihrer Hochzeitsreise in ein Vampir-Schloss. Isa gerät unter den Einfluss der Vampirkönigin Isolde, Antoine versucht seine Angetraute zu retten. – Warum „The Shiver Of The Vampires (OT: Le Frisson des Vampires) mancherorts im Internet als einer der besten Filme von Jean Rollin bezeichnet wird, weiß ich nicht. Im Prinzip steht überall das Gleiche, und zwar das, was bei allen Rollin-Vampir-Filmen steht: Irgendwas mit Kunst & Trash, Gothik & Erotik, psychedelisch & surreal. Ob bei Tageslicht, in der Morgendämmerung oder nachts, bei Kerzenschein – ich habe alles probiert – bei mir hat „The Shiver of the Vampires“ nicht funktioniert. Ich fand ihn beliebig. Aber ich will nicht ausschließen, dass das auch irgendwie an mir liegt. Schließlich fand ich bisher eigentlich alles, was ich von Rollin gesehen habe, gut bis sehr gut.
Coffy (Jack Hill, USA 1973)
Trash-Commando von Trash-O-Meter hat mir einen Stapel Filme mitgegeben, um mich in die Welt der Blaxpoitation einzuführen. Dann mal los! Den Anfang machte ein „sehr bedenkliches Action-Drama, das Selbstjustiz und das Recht des Stärkeren propagiert“ (Lexikon des internationalen Films) von Jack Hill. „Coffy“ war für mich gleich ein Volltreffer, was weniger an dem Film selbst lag – eine Frau nimmt für ihre abhängige Schwester Rache an der Drogenmafia –, sondern an seiner famosen Hautdarstellerin Pam Grier, die ich Ungebildeter bisher tatsächlich erst aus Quentin Tarantinos „Jackie Brown“ kannte. Ich mag Grier als Frau gerne leiden, aber ich fand auch ihre Figur der Coffy Coffin stark. Und ich möchte dem katholischen Filmdienst an dieser Stelle gerne widersprechen und behaupten, dass hier nicht das Recht des Stärkeren propagiert, sondern die Gewalt gegen den Schwächeren für ein B-Movie auf gar nicht so unclevere Weise thematisiert wird. Im Spannungsfeld Arm gegen Reich, Schwarz gegen Weiß, Mann gegen Frau erweist sich die Protagonistin nicht nur als jemand, der wegen der Umstände in den Widerstand geht, sondern eben auch als amoralisches Produkt eben dieser Umwelt, in der besagtes Recht des Stärkeren gilt. Doch ist dies keine Propaganda im Sinne von Werbung für ihr Handeln, sondern immer auch zutiefst tragisch, weil Coffys naiver Rachefeldzug für eine bessere Welt im Kern chancenlos ist. Ich danke Herrn Trash-Commando für die sehenswerte Leihgabe.
Shaft (Gordon Parks, USA 1971)
Gleich noch mal einen Dank in die gleiche Richtung. Björn goes Blaxpootaion Part II. Es ist schon ein bisschen witzig, dass ich diesen „Klassiker“ erst kurz vor der Rente sehe. Aber besser spät als nie bzw: eigentlich auch egal. Ich war noch nie ein großer Freund von Krimis, großen Wummen und coolen Sprüchen. Daran hat leider auch „Shaft“ nichts geändert. Aber die Musik, die war gut, und dass Isaac Hayes einen Oscar für den Besten Song gewonnen hat, leuchtet mir – auch wenn mir sonst wenig an den Oscars einleuchtet – voll uns ganz ein.
One, Two, Three (Billy Wilder, USA 1961)
Zum ersten Mal gesehen und – darf ich das hier sagen? – ich finde diesen Film ganz furchtbar. Ja, ich weiß, Billy Wilder und alle reden ganz schnell und lustig, har har, aber warum diese Zusammenschau von billigen nationalen Klischees einen so guten Ruf hat, verstehe ich beim besten Willen nicht. Ich finde „One, Two, Three“ nicht nur nicht lustig, ich finde ihn in seinem kaum verhohlenen Spott über alle nicht-amerikanischen Menschen bedenklich. Die meisten Witze gehen auf Kosten der Russen, aber auch gegen Bürger der DDR, gegen die Deutschen und Frauen wird ordentlich ausgeteilt. Ich bin niemand, der besonderen Wert auf politische Korrektheit legt, aber wenn auf Kosten anderer gelacht werden soll, dann bitte als Provokation und nicht in Form einer vermeintlichen Wohlfühl-Komödie.
Notizen #3
Mal wieder nur kurz.
Fantastic Four (Josh Trank, USA 2015)
Nachdem ich so widersprüchliche Dinge über diesen Film gelesen habe, bin ich schließlich doch neugierig geworden und muss sagen, dass ich die sich eindeutig in der Minderzahl befindlichen Verteidiger von Josh Tranks „Fantastic Four“-Reboot zumindest verstehen kann. Denn vom Marvel-Einheits-Superbrei hebt er sich ab. Probleme gibt es natürlich auch. Es ist wahrscheinlich müßig, Superhelden-Filmen fehlenden Realismus vorzuwerfen, wobei das doch gerade ein Markenzeichen dieses Genres ist, aber ich muss sagen, für mich hatte der Film tatsächlich ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Z.B. als die vier beschließen, auf eigene Faust in die neue Dimension aufzubrechen; oder als sie, nachdem Reed wieder eingefangen wurde, unvermittelt wieder ins Jenseits geschickt werden. Aber gut. Meckern könnte man noch lange. Zum Beispiel lang und leidenschaftlich über das gruselige CGI, die holprige Erzählung, der man anmerkt, dass nicht nur eine Hand daran herumgewerkelt hat, oder das versemmelte Finale. Doch man kann nicht ignorieren, dass Trank versucht, etwas anders zu machen. Im fertigen Produkt ist seine verwässerte Vision – eine düstere Mischung aus Coming-of-Age Geschichte und Body Horror – immerhin noch zu erahnen.Alles in allem? War das nix. Aber der Film war mir trotzdem nicht unsympathisch. Ich würde mir eine Fortsetzung wünschen
Case of the Scorpion’s Tail (Sergio Martino, Spanien / Italien 1971)
Obwohl mir bisher kein Film von Sergio Martino so richtig gut gefallen hat, gebe ich nicht auf. Diesmal war „Case Of The Scorpion’s Tail“ (OT: La Cola del escorpión), ein früher, aber doch nicht ganz gewöhnlicher Giallo an der Reihe. Die Geschichte beginnt mit Lisa Baumer (Ida Galli), die sich gerade mit ihrem Liebhaber im heimischen Bettlager dem Höhepunkt entgegenkuschelt als das Flugzeug ihres Mannes hoch oben in den Lüften explodiert. Die Witwe kommt damit in den Genuss der Lebensversicherung von einer Millionen Dollar, die ihr in Griechenland ausgezahlt werden soll. Weil die Versicherungsgesellschaft der Dame nicht traut, wird Lisa durch den Privatdetektiv Peter Lynch (George Hilton) beschattet. In Athen lauern außerdem noch andere Anwärter auf das Geld. Bald gibt es die ersten Toten. Auch dieser Film von Martino war für meine Begriffe jetzt keine Offenbarung, trotzdem will ich nicht leugnen, dass er weder ein 08/15-Giallo ist, noch sich überhaupt so leicht in das Genre einfügen lassen will.. Eine recht spannende Geschichte, Bruno Nicolais schräger Score und wirklich haufenweise seltsame Kamera-Perspektiven machen ihn auf jeden Fall sehenswert. Noch etwas mehr Freude macht der Film, wenn man sich zuvor mit dem schönen Booklet von Rochus vom kinderfilmblog einstimmt, der mir die DVD freundlicherweise ausgeliehen hat.
Captain Phillips (Paul Greengrass, USA 2014)
Ja, spannend. Ich mag Greengrass’ Filme eh und auch „Captain Phillips“, den ich nun endlich nachgeholt habe, hat mir wieder gut gefallen. Es geht um ein Containerschiff, das in der Nähe von Somalia von Piraten angegriffen und schließlich gekapert wird. Mich haben die Verhältnisse und Kontraste fasziniert, wenn ich das mal so abstrakt sagen darf – die Reichen und Armen, die Schwarzen und Weißen. Die großen Schiffe und die kleinen. Wer hätte gedacht, dass man ein großes Containerschiff einfach so kapern kann? Nun gut, so einfach ist das nicht, aber mit der richtigen Portion an Verzweiflung und Wagemut, über die die Piraten ohne Frage verfügen, ist es möglich. Den Teil des Films, der auf dem Frachter spielt, fand ich sehr mitreißend, den Teil, in dem sich die Piraten mit Captain Phillips (Tom Hanks) in einem Rettungsboot auf der Flucht befinden, etwas weniger, keine Ahnung warum. Vielleicht hat mich in dem Teil die gleiche Schockstarre überfallen, wie den gebeutelten Captain, der erst im sehr emotionalen Finale, wie ich dann auch wieder, die Fassung verliert. Starker Film jedenfalls.
21 Jump Street (Phil Lord, Chris Miller, USA 2012)
Zweitsichtung. Diesmal mit Frau und Eltern vor dem heimischen Fernseher. Interessantes Meinungsspektrum nach dem Film, das von 2/10 Punkten (Mutter) bist hin zu 8/10 Punkten (Papa) reichte. Ich sortiere mich irgendwo dazwischen ein. Ich fand ihn ähnlich gut wie bei der Erstsichtung (hier etwas mehr dazu) und sogar auf Deutsch war er nicht unlustig. Diesmal ist mir sogar noch mehr klar geworden, was für ein Glücksfall dings und dings sind. Die beiden harmonieren so prächtig, dass der Film nur so flutscht und sich die Gags quasi von selbst schreiben. Lediglich das Ende, der Genitalschuss, den ich geschmacklos und billig finde, stört mich nach wie vor.
Inside Out (Pete Docter, Ronnie del Carmen, USA 2015)
Es ist natürlich ganz wunderbar, wie die Innen- und Gefühlswelt der jungen Protagonistin in diesem Animationsfilm dargestellt wird. Ihre Gefühle – Freude, Wut, Angst und Ekel – sind hier agierende Figuren, die in der Psyche der Hauptfigur allerlei anstellen und schließlich wieder richten. Und ich würde auch sagen, dass dieser Pixar mal wieder zu den stärkeren Filmen des Studios gehört. Dennoch kann ich nicht so ganz in den allgemeinen Lobgesang einstimmen, weil ich „Inside Out“ erzählerisch als sehr konventionell und damit von den visuellen Attraktionen abgesehen fast schon als langweilig empfunden habe. Die Prämisse und die optische Seite sind ohne Frage toll, aber mir fehlte da irgendwie noch etwas, das die Geschichte spannender macht wie auch ein wenig mehr dazu, was die Behauptung des Films, dass – unsere Persönlichkeit und unsere Handlungen – vollständig durch die Mechanik unserer Innenwelt bestimmt werden, für unser Selbstverständnis als Mensch bedeutet.
What About Bob? (Frank Oz, USA 1991)
Dass ich mit Komödien sehr oft nichts anfangen kann, erwähnte ich bestimmt schon mal. Der Grund, warum ich Frank Oz’ „What About Bob?“ trotzdem so mag, ist wahrscheinlich, dass es sich hierbei im Grunde nicht um eine Komödie, sondern um einen Horrorfilm handelt.
Worum geht’s? – Um den Psychiater Leo Marvin (Richard Dreyfuss), der mit Bob Wiley (Bill Murray) einen Patienten bekommt, der ihn an seine Grenzen bringt – und darüber hinaus. Nicht nur, dass Bob seinen Therapeuten bis an dessen Urlaubsdomizil verfolgt und sich dort breit macht, der multiphobische Neurotiker erobert auch im Nu die Herzen von Leos Familie. – Natürlich ist das lustig. Denn Bill Murray und Richard Dreyfuss sind kongenial als Seelenklempner und Irrer. Während Murrays Fähigkeiten als Comedian auf der Hand liegen, möchte ich an dieser Stelle nachdrücklich bemerken, wie perfekt Dreyfuss für seine Rolle gecastet ist und wie gut er sie ausfüllt. Ich denke, seine Performance als selbstgefälliger Arzt trägt maßgeblich zum Gelingen des Films bei. Der Horror, von dem ich eingangs sprach, wird durch den Humor sogar noch verstärkt. Für Leo ist es furchtbar, dass Bob ihn bis an seinen Urlaubsort verfolgt, noch schrecklicher ist es allerdings, dass alle den Eindringling zwar als liebenswert kauzig, auf keinen Fall aber als Bedrohung ansehen. Und eine Bedrohung für Leib und Leben ist er ja auch nicht, wohl aber für die Spießerwelt des Egozentrikers Leo. Für den Zuschauer bedeutet das ein Wechselbad der Gefühle, denn einerseits ist es natürlich nicht ganz ohne Reiz, mitzuzusehen, wie der Verrückte im geordneten Leben Leos alles durcheinander bringt. Andererseits kann man auch tiefes Mitgefühl und empathische Panik dafür empfinden, was der plötzlich hilflose Helfer durchmacht.
Was ich an dem Film ebenfalls sehr schätze, ist die Art, wie er Psychotherapie des letzten Jahrhunderts auf die Schippe nimmt. Das tut er nicht, in dem er sich infantil veralbert, sondern indem er ihr Selbstverständnis ad absurdum führt: Sicherlich kann eine psychologische Behandlung helfen, doch das tut sie eher weniger aufgrund von psychologischem Geheimwissen, sondern durch das Gespräch zwischen Therapeut und Patient, dem Aufdecken versteckter Ressourcen und dem Aktivieren von sozialen Netzwerken. Die der Figur des Leo innewohnende Arroganz, ist auch die Arroganz seiner ganzen Profession – der Hilfesuchende wird hier behandelt wie der Kunde jeder anderen Dienstleistung. Er bekommt ein Produkt verkauft und soll sich dann bitte schnell wieder entfernen. Dass Patienten keine Objekte sind, sondern dass die Wirkung von Therapien gerade in der persönlichen Beziehung zwischen Arzt und Hilfesuchendem liegt, zeigt Bob dem selbstgefälligen Psycho-Doc eben dadurch, dass er in einem Tabubereich netzwerkt und sich die Beziehung zu seinem Arzt mit Gewalt holt. Das ist scharfsinnig beobachtet, ziemlich lustig umgesetzt aber, wie gesagt, auch ganz schön gruselig.
Ich komme zum Ende. An diesem Film stimmt so gut wie alles. Außer vielleicht die Grimasse, die der gebeutelte Psychiater in seine letzten Szene zieht, die Resignation aber auch so etwas wie Akzeptanz zum Ausdruck bringt. Hier ist der Film dann auf einmal doch versöhnliche Komödie, indem er den Anschein erweckt: Alles halb so wild. Oder doch nicht? Offenbart „What About Bob?“ möglicherweise eben an dieser Stelle erst seinen wahren Schrecken? Denn der Leidensgenosse Leo ist besiegt und das gleich doppelt: Nicht nur sein Renommee ist dahin, denn er hat seine Familie sowie seine Schwester an den Patienten verloren. Und benimmt sich zum Schluss, wie man es von einer Figur in diesem Gerne erwartet. Damit kehrt er dem Zuschauer den Rücken zu. Dann ist man ganz allein. Paranoia.
Bild © Touchstone
Das ewige Leben (Wolfgang Murnberger, Österreich 2015)
Es ist schon erstaunlich, dass die Verfilmungen der Romane von Wolf Haas um den sehr kauzigen Privatdetektiv Simon Brenner zwar in Fan-Kreisen durchaus Kultstatus genießen, dass ihnen aber die ganz große, breite Anerkennung bisher verwehrt geblieben ist. Dabei gäbe es mehrere Gründe, die kongenialen Filme des eingespielten Teams bestehend aus Regisseur Wolfgang Murnberger, Hauptdarsteller Josef Hader und Autor Wolf Haas so manchem gelackten Hollywood-Thriller vorzuziehen. Zum einen sind die Filme zeitlos und brandaktuell gleichzeitig. Mord, Korruption, Menschenhandel, et cetera pp. – hier werden die dunklen Seiten von Österreich angegangen, doch eigentlich sind es die Schattenseiten der ganzen Welt, die Zivilisationskrankheiten, die aus menschlichen Wünschen und Ängsten hervorgehen, die in Haas’ Romanen behandelt werden. Zum anderen, dass es die Filme überhaupt gibt! Wer schon mal einen Brenner-Krimi gelesen hat, kann sich vorstellen, wie unmöglich es auf den ersten Blick erscheint, solche durch ihre Sprache besonderen Stoffe für die Leinwand zu adaptieren. Doch dem Triumvirat Murnberger, Hader und Haas ist es gelungen. Mal wieder. Warum auch der vierte Film, „Das ewige Leben“, wieder ding ist, führe ich in meiner Kritik für kino-zeit.de aus.